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Kurz - Interview mit Tilman Zülch

Kurz-Interview mit Tilman Zülch dem Generalsekretär der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV)

Wie sehen Sie die aktuelle Lage der Yeziden insgesamt ?

Es ist ganz traurig, dass nur noch ganz wenige Yeziden z.Zt. in der Türkei leben. Die Anzahl der noch dort lebenden ist so gering, dass man Sie fast alle einzeln aufzählen kann. Die Besetzung der Eigentümer der Yeziden durch die moslemischen Bevölkerung schreitet immer mehr voran. Diese willkürliche Besetzung wird staatlich gelenkt. Die Behörden sind korrupt. Es werden Gesetze in Anspruch genommen, die entweder gar nicht existieren oder staatlich unter Nichtbeachtung bestehender internationaler Gesetze erlassen worden sind. Und genau dort muss was geschehen. Die Yeziden dürfen im Hinblick auf die Zukunft jetzt nicht noch enteignet werden. Die Yeziden haben in Syrien nicht nur „kurdische“ Probleme, sondern parallel dazu noch „religiöse“ Probleme. Sie werden doppelt verfolgt. Die meisten in Syrien lebenden Yeziden haben keine syrischen Pässe. Auch nach jahrzehntem langem Aufenthalt in Syrien sind diese trotzdem noch staatenlos. Zudem werden sie auch öfter von der eigenen kurdischen (moslemischen) Bevölkerung diskriminiert. Sie dürfen ihre Religion nicht frei ausüben. Immer wieder stoßen sie auf Hindernisse und Auseinandersetzungen bzgl. der Religion.
Bei unserer Reise im irakisch-Kurdistan war ich in Lalish. Die Architektur war sehr schön und sehr eindrucksvoll. Es war sehr informativ. Das hat mich schon immer interessiert und bewegt. Man lernt dort die Kultur der Yeziden kennen. Man erfährt, dass sie von verschiedenen moslemischen Herrschern verfolgt worden sind. Sie besitzen eine blutige Vergangenheit, und zwar als Opfer und nicht als Täter. Es gibt zwei yezidische Minister. Einer davon ist Chirurg. Die GfbV konzentriert sich sehr auf Minderheiten im irakisch-Kurdistan und Ausserhalb auf die Kurden selber wie z.B. die Schiiten in Chanekin, die Kurden in Kerkuk, die Yeziden in Shingal und die Christen in Niniveh-Ebene. Wir sprechen dieses Thema mit kurdischen Politikern an. Der Präsident der irakisch Kurdistan Mesud Barzani betont immer wieder, dass die Asyrer-Chaldäer und Türkmenen keine Miderheiten sind. Und die Yeziden als eine religiöse Gemeinschaft angesehen werden. In Shingal, wo sich die größte Konzentration der Yeziden befindet gab es im Jahre 2007 ein furchtbares Massaker. Dabei kamen einige Hundert Yeziden ums Leben. Soweit ich weiß, fanden dort zuletzt Wahlen statt. Zu 80% dieser Menschen wollen zu irakisch-Kurdistan gehören. Es ist ein unheimlich klares Ergebnis. Das Gebiet um Shingal müsste den Status einer Subautonomie erhalten, die die Yeziden selbst verwalten. Das ist eine ganz ganz wichtige Sache.
 

Hat die GfbV für die Yeziden in der Zukunft Projekte geplant (kurz-, mittel-, langfristig) ?


In erster Linie müssten die Yeziden selber Forderungen stellen. Wir wären dann bereit sie dabei zu unterstützen. Die Yeziden haben spezielle Probleme mit Schutz und Gerechtigkeit. Es müssten Maßnahmen gegen die Diskriminierungen angeleitet werden.


Was sagen Sie zu dem Beschluss der EU für die Aufnahme einer bestimmten Anzahl der irakischen Flüchtlinge, was aber nur für die Christen gilt ?


Es stimmt nicht ganz. Es waren auch einige Yeziden dabei. Es ist die Frage, inwieweit die Yeziden nach Europa kommen wollen.


Haben die Yeziden Ihrer Meinung nach aus der Vergangenheit gelernt?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass Ihre Flucht aus der Türkei eine richtige Entscheidung war. Dies kann man vielleicht auf das Lernen aus der Vergangenheit schließen.
Was ich auch als positiv empfinde, ist die vernünftige Zusammenarbeit der Yeziden mit der jetzigen kurdischen Regierung. Im Gegenzug müsste die Regierung im irakisch-Kurdistan die Verantwortung für Shingal übernehmen. Sie könnte auch jetzt schon. Nämlich durch militärischen Schutz und der Durchsetzung der Forderung einer Autonomie für Shingal gegenüber der Zentralregierung in Bagdad.


Wie sehen Sie die Überlebenschancen der Yeziden in Europa ?

Ich befürchte, dass sie sich der Zeit anpassen müssten. Es müsste die Frage gestellt werden, wie die Religion mit der modernen Zeit vereinbar ist. Hierzu müssten die yezidischen Intelektuelle und Akademiker mit yezidischen Religionsoberhäuptern in Dialog bleiben.

Wie bewerten Sie die Selbstorganisation der Yeziden in Europa und die Integrationsarbeit der Bundesregierung für die Yeziden ?

Ob die Yeziden eine wirkungsvolle Selbstorganisation betreiben mag ich bezweifeln. In erster Linie muss sich die Jugend organisieren. Nur diese kann die Probleme bewerten. Die jüdische Gemeinschaft ist auch nicht viel mehr. Sie sind aber besser organisiert.
Was die Bundesregierung angeht, müsste hier sehr viel mehr investiert werden. Zudem werden Kinder abgeschoben, die neben ihrer yezidischen mittlerweile auch eine deutsche Identität besitzen. Das ist einfach krank. Mit diesen Abschiebungen tut sich die Bundesregierung keinen Gefallen. Man handelt gegen deutsche Interessen.

Was können Sie aus ihren Erfahrungen an die Yeziden weitergeben ?

Wenn man die yezidische Gesellschaft in Deutschland betrachtet, spielt die Jugend eine wichtige Rolle. Sie muss einiges modernisieren. Gleichzeitig aber das altbewährte behalten. Wenn sie dies tut, wird die yezidische Gesellschaft eine besondere Stimme sein und einen wichtigen Beitrag zur Demokratie und Freiheit leisten. Wenn das Experiment irakisch-Kurdistan gut geht könnten aufgrund ihrer Bevölkerungszahl (ca. 800.000) die Yeziden dort eine große Rolle spielen. Sie wären auch eine große Kraft. Die Kurden müssten auch anerkennen, dass dies die kurdische Religion ist.

Göttingen, 25.04.2009